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Fräulein Vronis Gespür für Schnee

Die Ski-Industrie ist ein schwieriges Geschäft – und noch immer eine Domäne der Männerwelt. Seit geraumer Zeit mischt dabei auch eine Frau mit: Veronika Jud-Frei will den Markt der etablierten Hersteller mit ihren handge-arbeiteten Core Skis aufrollen.

Plötzlich war Schluss. Von einem auf den anderen Tag stand Veronika Jud-Frei ohne Arbeit da. Der bekannte US-Skihersteller, für den sie den Vertrieb in der Schweiz gemanagt hatte, brauchte sie nicht mehr. Nicht, dass sie den Job schlecht gemacht hätte. Sie machte ihn sogar so gut, dass die Amerikaner das lukrative Geschäft lieber selbst in die Hand nehmen wollten. „Was kann ich denn eigentlich so richtig gut?“, habe sie sich gefragt, denn für die Rente fühlte sie sich viel zu jung. Ihre Antwort kam spontan: „Ich weiß, welchen Ski ich fahren möchte. Und ich weiß auch, welchen Ski meine Kunden schon immer kaufen wollten.“ Nur habe den ein Massenhersteller wie ihr früherer Arbeitgeber nie bauen wollen.

Dann entdeckte sie auf der Piste einen schwarzen Karbon-Ski, der ihr extrem gut gefiel. Sie fragte den Besitzer aus und landete in einer kleinen Manufaktur hinter dem Maloja-Pass in Norditalien. Der Chef der Fabrik, ein Ex-Rennläufer, wies sie schroff ab: „Ich baue doch keine Skier für Sie!“ Immerhin lud er Sie zum Mittagessen ein. Spätestens beim Grappa wusste Veronika Jud-Frei, dass sie gewonnen hatte. Der Signore schätzte ihr technisches Wissen über die Bretter, die für beide die Welt bedeuten und willigte ein. Er sah ihr Know-how nicht mehr als Konkurrenz, sondern als Ergänzung. Er war sich sicher: Sie würden ein gutes Team bilden, auch wenn sie schon mal die halbe Nacht über die besten Materialien stritten.

Der Sitz ihrer 2004 gegründeten Firma Core Skis wurde ein altes Walserhaus in Klosters-Dorf im Prättigau. Core ist das englische Wort für Kern. Und ihre Kern-Botschaft lautete: Wir bauen schlichte, elegante Skier ohne Schnick-Schnack, die durch ihr Innenleben überzeugen. „Ich wollte einen Ski, mit dem ich nicht arbeiten und kämpfen muss – einen, der macht, was ich will“, beschreibt sie ihre Vision. Bei deren Umsetzung half ihr Mirco Auer. Der ehemalige Skicross-Profi entwarf einen Ski in klassischer Sandwich-Konstruktion, mit einem mehrschichtigen Holzkern aus Pappel oder Esche, der mit Lagen aus Glasfasern und Titan ummantelt wird, je nach Modell.

Der Signore hinter dem Maloja-Pass kümmert sich um eine sorgfältige Verarbeitung. Er presst die „Zutaten“ bei einer Temperatur von mehr als 100 Grad eine Viertelstunde lang mit hohem Druck in eine Form. Eine ähnliche Rezeptur verwendet er auch für Rennskier. Nur sind bei den Core Skis die Schichtstärken der Materialien dünner, damit der Ski in der Biegung weich bleibt und der Fahrer nicht so viel Kraft benötigt. „Aber eben auch nicht zu dünn“, sagt die Chefin. Die Kunst bestehe darin, genau die richtige Mischung zu finden: „Denn in der Torsion muss er steif bleiben, damit die Schaufel bei der Aufkantung in der Kurve nicht wegkippt und der Ski nicht wegrutscht“, erklärt Veronika Jud-Frei.

Nach dem aufwendigen Pressen – für jedes Modell und jede Skilänge bedarf es einer neuen Negativ-Schablone – kommen die Bretter zurück ins Bündner Land. Dort erhalten sie ihr puristisches Design. Bei der Beschriftung und der Gestaltung der Oberflächen helfen Jugendliche der Firma ARGO in Davos. Danach werden noch Bindungen und Platten aufgeschraubt.

Der Winter 2007/2008 sollte zur Stunde der Wahrheit werden. Erstmals standen die edlen Bretter mit Preisen zwischen 1.500 und 2.500 Franken (inklusive Bindung) in den Schaufenstern ausgewählter Sportgeschäfte nobler Skiorte wie St. Moritz und Lech am Arlberg. Nun kam es darauf an, dass die vielen Menschen Wort halten würden, die ihr ewige Treue geschworen und sie zu dem unternehmerischen Abenteuer ermuntert hatten. „Doch von all denen, die sagten: Wenn Du etwas Neues machst, bin ich dabei, blieben am Ende nur 20 übrig.“ Sie lernte, dass sie ihren Kundenstamm neu aufbauen muss. Und sie lernte auch, dass es eine Schmerzgrenze beim Preis gab. Jenseits der 2.000-Franken-Marke war es schwierig, die feinen Sportgeräte unters Volk zu bringen.

Also bot die frühere Skilehrerin Jud-Frei neben Karbon und Titan alternativ auch Polyamid als günstigeres Oberflächenmaterial an. Wer will, bekommt die Deckblätter jetzt aus diesem Kunststoff. Der neben dem günstigeren Preis zusätzliche Vorteil für die Kunden: Sie können ihre Lieblingsfarbe selbst wählen, passend zu ihrem Outfit auf der Piste. Und wer es sich leisten kann, wählt nach wie vor das edle und federleichte Karbon.

Trotzdem blieb der Start holprig. Jud-Frei merkte, dass sie als Frau in eine Branche eindrang, die noch mehr als die Finanzwelt als eine der letzten Bastionen der Männer gilt. Wenn sie Händlern technische Details erklären wollte, wurde sie mitunter gefragt: „Wollen wir nicht lieber einen Kaffee trinken gehen?“ Außerdem musste sie in einem Markt Anteile erkämpfen, der seit Jahren schrumpft, weil immer mehr Sportler Skier ausleihen statt sie zu kaufen. Und sie war natürlich nicht die erste, die sich im Segment der handgemachten Luxus-Skier etablieren wollte. Als regelmäßige Besucherin der weltgrößten Wintersportmesse ISPO in München wusste sie, dass dort die Hersteller von Luxus-Brettern samt Accessoires und Skibekleidung eine ganze Halle in Beschlag nehmen, wenn nicht gerade Pandemie-Alarm herrscht und die Messe so wie dieses Jahr nur virtuell stattfindet.

Veronika Jud-Frei hat über die Jahre gelernt, dass man erstens einen langen Atem braucht. Und dass es zweitens wohl besser ist, sich preislich eine Etage tiefer anzusiedeln. „Schweizer Marken finden im Wintersport immer wieder Nischen“, glaubt sie. Auf jeden Fall sei das mit dem Label Designed in Switzerland verbundene Qualitätsversprechen noch immer ein überzeugendes Verkaufsargument, vor allem im Ausland. Inzwischen vertreibt sie rund 1.000 Paar Skier pro Jahr in knapp 40 Fachgeschäften. 24 davon befinden sich in Schweizer Skistationen, neun in Österreich. Für die legendäre Firma Strolz in Lech am Arlberg produziert sie seit drei Jahren sogar ein Modell der Strolz-Eigenmarke Golden Eagle. „Ganz neu ist unser Eighty One Ski, benannt nach einem in der Schweiz entwickelten Power-Drink. Werbeträger für diesen Drink sind der Formel-Eins-Pilot Sergio Perez und der englische Sänger James Blunt.“ Überhaupt seien personifizierte Modelle made by Core ein Wachstumsgeschäft.

Seit einiger Zeit nimmt sie sich auch den US-Markt vor. Ihre Herausforderung: Neukunden finden und schwarze Zahlen schreiben, ohne den Anspruch auf Exklusivität aufzugeben. „Ich möchte auch künftig im Januar sagen können: Sorry, wir sind leider ausverkauft.“ Pro Skiort setzt sie deshalb auf nur einen einzigen Verkaufspartner und ein wohl sortiertes Angebot, das zwar für jeden Anspruch, jedes Terrain und jede Schneeart einen passenden Ski bereithält, aber auch nicht zu ausufernd ist, um die Entwicklungskosten im Zaum zu halten.

Deshalb bringt sie auch nicht jede Saison eine komplett neue Kollektion auf den Markt. Das habe für die Händler ebenfalls Vorteile: „Wenn diese wegen eines schlechten Winters nicht gleich alle Skier verkauft haben, bleiben sie nicht auf den Einkaufskosten sitzen.“ Zu ihrer Strategie gehört es ferner, noch mehr auf den Trend hin zum Leih-Ski aufzuspringen. „Es gibt inzwischen Verleih-Stationen, die sich auf Luxusmarken spezialisiert haben“, erklärt Jud-Frei. „Deren Kunden sind bereit, 50 Franken und mehr pro Tag für ein Paar Skier auszugeben – ohne Schuhe, Stöcke und Helm natürlich.“ Ohne diese Verleihe, gibt sie zu, wäre das Geschäft längst sehr schwierig. So aber bleibt sie optimistisch: „Mein Anspruch ist es nach wie vor, Bretter zu bauen, über die die Leute sagen: Das ist aber ein cooler Ski. Wo bekomme ich denn den?“ – Von „Petitessen“ wie dem Klimawandel, der der Ski-Branche in den kommenden Jahrzehnten noch kräftig zusetzen dürfte, will sie sich dabei nicht stören lassen. Die Vroni, wie sie ihre Freunde nennen, ist dafür einfach nicht der Typ. Und falls sie doch einmal schlechte Laune hat, verschwindet sie einfach für einige Stunden in der Prättigauer Bergwelt. Natürlich mit einem Paar Core Skis über der Schulter.

Autor: Günter Kast | Fotos: Core Skis

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