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Reifeprüfung

Thomas Breckle und Martin Rößle sind Deutschlands einzige Hartkäse-Affineure. Für ihre Spezialitäten mit Namen wie „Schwarze Mamba“ oder „Herr Direktor“ stehen die Fans Schlange. Wie schaffen die beiden das nur?

Käse interessierte Thomas Breckle schon als Dreikäsehoch. Wann immer er auf Wanderungen, zuerst mit den Eltern, dann allein, an einer Alm vorbeikam, naschte er dort von den gelben Laiben. Später wurde er Profisportler, gehörte eine Zeit lang dem deutschen Langlauf-Nationalkader an. Um im Sommer fit zu bleiben, fuhr er Mountainbike und ging Bergsteigen. Bei den Brotzeit-Pausen verkostete er noch mehr Käse und fragte den Älplern buchstäblich Löcher in den „Laib“. So richtig zufrieden war er aber nie. Zu teigig, zu plump, zu unreif schmeckte, was er da auf seinem Jausenbrett serviert bekam. Mit 22 Jahren stieg er aus dem Hochleistungssport aus. Konkrete Pläne für die Zukunft? Hatte er nicht. Nur die vage Idee, beruflich „irgendwas mit Käse“ zu machen.


Dann hilft der Zufall. Auf einer Reise nach Hamburg bringt er seinen Gastgebern zwei von ihm selbst gereifte Zehn-Kilo-Laibe Allgäuer Bergkäse als Geschenk mit. Doch die Veganer lehnen dankend ab. Sie schicken Thomas auf den Isemarkt, damit er seine Schätze dort verkaufen kann. Kurze Zeit später ist er wieder zurück. Der erste Kunde hatte sich gleich ein ganzes Rad gesichert und ihm hanseatisch knapp beschieden: „Junge, komm bald wieder!“ Das motiviert natürlich. Doch der Weg ist steiniger als gedacht: „Ich wollte mir richtige Koryphäen suchen, habe aber schnell gemerkt, dass es niemanden mehr gibt, der dem Käse noch Zeit zum Reifen gibt. Die meisten Laibe werden nicht älter als vier, fünf Monate.“ Diesmal hilft ihm das Glück des Tüchtigen: Bei seinen Recherchen lernt er einen mehr als 90 Jahre alten Opa kennen, der sich noch daran erinnert, wie Käse schmecken muss. Er gibt Thomas den Tipp, sich einen Naturkeller zu suchen.


Den findet er in einem fast 200 Jahre alten Gewölbe des ehemaligen Klosters St. Raphael zehn Meter unter der Erde, das früher als Eislager eines Brauhauses in Kempten diente. Dort ist auf 440 Quadratmetern Platz für die Laibe, die Thomas in Regalen aus grob gehobeltem Fichtenholz ordentlich aufreihen kann. Vor allem aber: Dort herrschen eine konstant niedrige Temperatur – knapp zehn Grad – und eine hohe Luftfeuchtigkeit. „Dieser Keller hat ein so geniales Klima, dass ich es künstlich gar nicht herstellen könnte“, schwärmt der Allgäuer, der sich längst in den Kopf gesetzt hat: „Wir wollen den bestmöglichen Käse machen.“ Aber er weiß natürlich: Mit dem richtigen Lagerort ist es da nicht getan. Als Affineur, als Veredler, ist er auf beste Ausgangsprodukte angewiesen. „Wenn man jungen, wir sagen: grünen Käse falsch einkauft, zieht sich das wie ein Rattenschwanz weiter, das macht dann keinen Spaß. Man kann keinen Billigkäse zu etwas Edlem hochpäppeln.“

Wie aber findet man die gute Ware, den perfekten Jungkäse? „Mit dem Mountainbike“, sagt Thomas, der als Ex-Ausdauer-Athlet noch immer einen ausgeprägten Bewegungsdrang hat. Zum Glück hat er in Martin Rößle, der aus Hohenpeißenberg im oberbayerischen Kreis Weilheim-Schongau stammt, einen Geschäftspartner gefunden, der ähnlich leidenschaftlich Bergrad fährt. Das passt perfekt, um dem Duo den Weg zu den Produzenten ihres Käses zu versüßen, den Sennerinnen und Sennern oben auf den Alpen. „Wir haben gemerkt: Mit dem Auto kommen wir in den Bergen eh‘ nicht weit. Und zu Fuß ist man zu langsam. Mit dem Rad ist es genau richtig. Das können wir schultern, tragen, Wege abkürzen – es ist das ideale Berufsfahrzeug“, findet das Duo. Jeden Sommer vernichten sie so Zehntausende von Höhenmetern für den Käse.


Auf ihren Recherche-Touren, ihrer Käse-Jagd, legen sie strenge Kriterien an, die nur wenige Senner erfüllen, insgesamt nicht mehr als eineinhalb Dutzend. „Käsen fängt schon in der Güllegrube an, hat mir mal ein Senner gesagt“, erzählt Martin. Es komme auf die artgerechte Haltung der Rinder, auf deren Futter und auf die Rasse an. In Frage komme vor allem Käse, der aus Milch von Kühen mit Hörnern stammt, weil allein dies den richtigen Mineralstoffgehalt garantiere. Die Bauern müssten echtes Kalbslab benutzen. Und nur bestes junges Gras verfüttern, weil nur dieses für die kräftige gelbe Farbe und den feinen Geschmack sorge. Kraftfutter ist deshalb tabu. Die Auswahl der „Youngster“ sei tatsächlich der heikelste Teil ihrer Arbeit. Da wird geklopft, getestet, probiert. „Es ist schwierig zu sagen, ob ein Käse in drei Jahren richtig gut sein wird, denn ein junger hat ja noch nicht viel Geschmack. Aber wir haben inzwischen mehr als 20 Jahre Erfahrung und einen guten Gaumen.“ Trotzdem bestellen sie von neuen Sorten erst einmal nur kleine Mengen, um damit zu experimentieren.


Auf ihren Bike&Cheese-Trips entdecken sie immer wieder Perlen wie den Doppelrahm-Gruyère des jungen Käsers Michael Hanke. Oft aber seien es alteingesessene Älpler, die den besten Jungkäse herstellen. Um von diesen beliefert zu werden, muss man ihr Vertrauen gewinnen, sich Zeit nehmen. „Das sind echte Charaktere. Wenn Du die in die Stadt stellst, wissen die gar nicht, was sie tun sollen. Aber in ihrem Metier sind sie wahre Meister und machen geniale Sachen. Man muss dabei allerdings ganz behutsam vorgehen.“ Ein langjähriger Zulieferer ist zum Beispiel die Alpe Helmingen am Rand des Allgäus, fast schon im Bregenzerwald. Hermann melkt die Kühe, Marianne rührt die Milch mit Holzstotzen in dem großen, über einer offenen Feuerstelle hängenden Kupferkessel. Wenn Thomas und Martin dort auftauchen, spürt man die Verbundenheit. Man kennt sich. Man schätzt sich. Man fachsimpelt. Man stößt mit einem selbst angesetzten Schnaps aus wildem Bergkümmel an.


Tatsächlich überspringen nur wenige Allgäuer Älpler die hohen Hürden der beiden Käse-Künstler. „Wenn wir jedes Jahr einen Neuen finden, sind wir schon ganz froh“, räumt Martin ein. Die meisten der handverlesenen Senner arbeiten in der Schweiz, Südtirol und anderen Regionen des Alpenbogens. Mittlerweile bewerben sich Käser auch aktiv bei „Jamei Laibspeis“ und schicken unverlangt Proben. Ach ja, der Name der Firma ist erklärungsbedürftig: Immer wieder wurde Thomas zu Beginn der Karriere gefragt, was denn das Besondere an seinen Spezialitäten sei. Seine typische Antwort begann stets mit den Worten: „Ja, mei.“ So reifte nicht nur Käse, sondern auch ein Markenname heran.


Die von Thomas und Martin auserwählten Sorten kommen im Alter von zwei bis vier Monaten in Kempten an, wenn sie gerade Rinde ansetzen. Manche sind rund und groß wie Mühlsteine, bringen hundert Kilo auf die Waage. Andere sind kastenförmig und handlich wie Ziegel. „Jungen Käse muss man erziehen, der ist noch ungestüm“, erklärt Martin. Aber wie genau funktioniert der Reifeprozess, der mindestens 15 Monate, mitunter aber auch fünf Jahre dauert?

Über die wichtigste Voraussetzung, den Keller samt 50-jährigem Pachtvertrag mit der Kirche, hat das Duo ja schon gesprochen: Käse mag es konstant kühl und feucht, ohne Luftbewegung. „Professionelle Lager schaffen das nicht, da wird zu viel an Schrauben gedreht und geregelt. Das macht nur eine dicke Rinde, eine Fettschwitze, die trocken und garstig schmeckt, auf der Zunge brennt.“ Zwei- bis dreimal wöchentlich werden die Laibe von einem fünfköpfigen Pflegeteam geschmiert. „Das bedeutet, dass wir sie aus dem Regal holen, auf einen Bock legen und die Rinde mit Rosshaarbürsten schrubben und einschmieren. Dafür verwenden wir Luisenhaller Salz, belebtes Wasser und einen einfachen Riesling.“ Einige Geheimzutaten gebe es auch noch, „aber die verraten wir nicht“, sagen sie mit einem Augenzwinkern. Die Prozedur ist notwendig, damit sich kein Fehlschimmel bildet. Der weiße, dünne Milchschimmel dagegen sei erwünscht und habe einen positiven Einfluss auf den Reifeprozess. Könnte man die Laibe nicht auch maschinell pflegen? „In der Industrie ist das Standard“, bestätigt Thomas. „Aber Schmierroboter haben kein Gefühl.“ Das Wenden der Laibe per Hand sei natürlich Hochleistungssport, vergleichbar mit Gewichtheben.


Thomas und Martin wissen, dass sie einem sehr außergewöhnlichen Beruf nachgehen. Weltweit gibt es höchstens hundert Käse-Affineure. Einer der berühmtesten, Bernard Antony aus dem Elsass, gilt unter Gourmets und Sterne-Köchen als Star. Der „Maître fromager affineur“ arbeitet mit Trüffeln, Edelschimmel, Gewürzen und Heu-Aromen. Die beiden Hartkäse-Veredler halten solche Beigaben für verzichtbar. „Fichtennadeln, Blüten von Bergblumen, Knoblauch, Nüsse, Kräuter – das brauchen wir alles nicht“, sagt Thomas, „der Käse soll für sich selbst sprechen.“ Natürlich seien auch Konservierungsstoffe tabu. „Wir lieben es einfach. Einfach gut.“


Sehr unterschiedlich veredelte Hartkäsesorten warten im Klosterkeller auf ihren Einsatz. Wenn Thomas und Martin durch die Regalreihen gehen, haben sie stets einen Bohrer aus Metall in der Hand, mit dem sie ab und zu prüfend auf einen Laib klopfen. Anhand der Tonhöhe und Resonanz können sie beurteilen, wie reif der Käse ist. Da ist der 45 Monate alte Sbrinz, eine Urform des Parmesans, die aus der Schweiz stammt. „Wer ihn einmal probiert hat, wird sich mit Parmigiano schwertun“, meint Thomas ganz unbescheiden. „Der schmeckt sehr kräftig, auch ein bisschen fruchtig und brennt kein bisschen.“ Dann bohrt er einen Demeter-Ur-Gouda an, der mit Ghee geschmiert wird, um eine Probe zu verkosten. Liebevoll streichelt er über die „Schwarze Mamba“, einen der Jamei-Bestseller, der mit Fichtenholz-Asche behandelt wird. „Der schwarz-graue Mantel nimmt Molke auf, die während der Reife aus dem Käse tritt.“

Stundenlang könnte man mit den beiden Käse-Kennern ihren würzigen Schatzkeller erkunden: den 30 Monate alten „Grana Bavaria“ aus dem Allgäu kosten; den „Mängisch“, einen mindestens 30 Monate gereiften Bergkäse, der für Käsespätzle perfekt geeignet ist; den „Herrgöttli“, einen etwas jüngeren Rahmkäse; den „Herr Direktor“, die extralang gereifte Variante der Hausmarke „Jamei“.


Thomas und Martin wissen, dass auch Marketing und Story-Telling zu ihrem Erfolg beitragen: die Touren mit dem Mountainbike, über die der Bayerische Rundfunk schon berichtet hat; die ausrangierten knallroten Seilbahngondeln, aus denen sie auf Wochenmärkten ihre Kreationen verkaufen; die phantasievollen Namen der Sorten, die auf das Einwickelpapier gestempelt werden; der Ritterschlag, der damit einhergeht, wenn Spitzenköche wie Jan Hartwig vom „Atelier“ im Bayerischen Hof in München bei ihnen bestellen. Wirklich wichtig sei jedoch etwas anderes. Es ist ganz einfach und lässt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen: „Wir reifen verantwortungsvoll, nachhaltig und achtsam ein wertvolles Lebensmittel, das nicht nur den Körper, sondern auch die Seele satt macht.“

Text: Günter Kast

Fotos: Marco Mehl, Jamei Laibspeis

Auf welchen Märkten, in welchen Restaurants und
bei welchen Einzelhändlern man Jamei-Käse findet,

erfährt man auf der Website: www.jamei-laibspeis.de

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