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Seen Suchts Ort

Ein Giro rund um das Tegernseer Tal beweist: Das beliebteste Ausflugsziel der Münchner ist
ein wahres Paradies für eine genussvolle Auszeit und birgt vielfältige kulinarische Schätze.

Muss man den Tegernsee, nur eine halbe Autostunde südlich von Bayerns Metropole gelegen, groß vorstellen? Eigentlich nicht. Selbst in Gelsenkirchen weiß man, dass hier viele Promis residieren. Weil die Berge mit ihren Almen und Hütten so idyllisch sind. Weil das Wasser des Sees so türkisfarben leuchtet. Weil die Türme der Kirchen hier so selbstbewusst in den Himmel stechen. Weil die Balkone der Holzhäuser vor Geranien nur so überquellen. Weil die Einheimischen am Sonntag noch Tracht tragen und stolz ihre Traditionen pflegen. Kein Wunder, dass der Tegernsee in ausländischen Deutschland-Reiseführern sehr oft als Synonym für ganz Oberbayern herhalten muss. Kein Wunder, dass hier viele Menschen leben (zumindest mit Zweitwohnsitz), für die Geld – beziehungsweise dessen Fehlen – nicht die größte Sorge ist.


Das allein: Das alles garantiert noch keine hochstehende Hotellerie und Gastronomie. Denn viele Tagesgäste ohne Ortskenntnis verleiten Wirte manchmal dazu, dem schnell verdienten Euro den Vorzug zu geben, nach dem Motto: Die sehen wir ohnehin nie wieder. Mäßige Qualität trifft dann auf überzogene Preise, vorzugsweise an der Flaniermeile direkt am Seeufer. Sich als Küchenchef in der Top-Etage zu behaupten ist hier ebenfalls nicht ganz einfach, denn die Konkurrenz ist groß: Im nahen München gibt es aktuell elf Lokale mit einem Michelin-Stern und fünf mit zwei Sternen. Außerdem pilgern viele Münchner an den See, um nach einer Wanderung oder Radtour nicht etwa Haute Cuisine, sondern explizit bayerische Schmankerl-Küche zu genießen. Sie steuern dann das Bräustüberl Tegernsee an, wo sie sich in dem Traditionswirtshaus mit Biergarten und Seeblick Gerichte schmecken lassen, die manche noch immer etwas antiquiert „gutbürgerlich“ nennen. Zu Weißwürsten oder Krustenbraten trinkt man eine frische Maß vom Herzöglichen Brauhaus – oder auch mal ein Glas Champagner, nach dem Motto: Wer nicht genießt, wird selbst ungenießbar.


Bei einer zünftigen Einkehr im Bräustüberl kann man wenig falsch machen. Man wird aber auch keine kulinarischen Abenteuer erleben. Wer diese sucht, kann auch am Tegernsee in eine Touristenfalle tappen, wenn es dumm läuft. Damit das nicht passiert, hat sich Alpstyle auf einen Giro del Lago begeben – und dabei eine überzeugende Mischung aus herzerwärmender Regionalküche und der weiten Welt entdeckt.


Mizu Sushibar und Restaurant

im Spa & Resort Bachmair Weissach, Rottach-Egern


Puh, ist das heiß! 42 Grad misst die Temperatur im Onsen-Becken. Doch der Schock nach dem Eintauchen ist schnell überwunden. Körper und Geist entspannen, getragen von dem reduzierten Design des Badehauses. Erinnerungen werden wach an Japan-Reisen. An die in heißen Quellen plantschenden Rotgesichtsmakaken. An kunstvoll inszenierte Speisen. Ja, das Fünf-Sterne-Hotel Bachmair Weissach in Rottach-Egern ist das einzige Hotel in Bayern, das einen Spa dieser Art anbietet. Aber wie kam der Ferne Osten ins weiß-blaue Oberbayern?


Um diese Frage zu beantworten, muss man etwas weiter ausholen. Am Nord-ende des Sees hat die weltbekannte, 1829 gegründete Büttenpapierfabrik Gmund ihren Sitz, in die Korbinian Kohler quasi hineingeboren wurde, und die er ein Jahrzehnt lang gemeinsam mit seinem Bruder führte. 2004 verabschiedete er sich als Geschäftsführer und Miteigentümer und stieg in die Immobilienentwicklung ein. Er spezialisierte sich darauf, in Schieflage geratene Objekte wirtschaftlich und baulich zu sanieren und entdeckte dabei seine Berufung zum Hotelier: 2010 eröffnete er das Bachmair Weissach, das zuvor ein eher trauriges Dasein als in die Jahre gekommenes Best Western geführt hatte, und machte es zu einem der besten Häuser am See.


Man kann im Bachmair im traditionsreichen Gasthof zur Weissach gehobene bayerische Küche genießen. Ein bewusster Kontrapunkt ist jedoch der Nippon-Bezug, inspiriert von zahlreichen Japan-Reisen des Hausherrn. Dieser Bezug beschränkt sich keineswegs auf das MIZU Onsen-Bad, sondern findet seine Fortsetzung in der gleichnamigen Bar samt Restaurant. „Mizu“ bedeutet einerseits „kaltes Wasser“ (eine Referenz an den in der Tat auch im Sommer ziemlich kalten Tegernsee), ist andererseits aber auch Ausdruck des Erstaunens. Und ins Staunen gerät man tatsächlich, wenn man vom oberbayerischen Landhausstil in das urbane Ambiente mit Tom-Dixon-Lampen und Cole&Son-Tapeten aus London wechselt, für das sich die Münchner Interior Designerin Nora Witzigmann verantwortlich zeichnet.


Bevor man im Restaurant – dem ersten und einzigen Japaner im Tegernseer Tal – Platz nimmt, sollte man unbedingt an der Bar einen Stopp einlegen. Das ganz in Schwarz gekleidete Team arbeitet hier an Fusion-Drinks, bei denen fernöstliche und westliche Zutaten eine Symbiose eingehen. Man glaubt gar nicht, wie wunderbar sich Sake und Champagner vertragen. Was man alles auf Basis japanischer Whiskys und mit Orangenblütenwasser anstellen kann. Welch erfrischenden Twist die japanische Zitrone Yuzu einem Cocktail-Klassiker verleiht. Ganz nebenbei lernt man, welche Gin-Sorten in Tokio gerade angesagt sind. Und dann hat die MIZU-Bar auch noch eine Botschaft für alle Mager-Models: Wenn die eigene Fettschicht nicht mehr wärmt, friert man. Ist so! Die Angelsachsen steuern seit langem mit klassischen Winterdrinks gegen, indem sie Rum & Co. im Wortsinn „eine buttern“. Hot Buttered Rum zum Beispiel nutzt das namensgebende Fett als Geschmacksträger und aromatisiert den Rum zusätzlich. Das geht natürlich auch im Sommer – und auch mit dem sehr teuren Wagyu-Beef, mit dem sich japanischer Whisky „fett waschen“ lässt. Gut, tibetanischer Buttertee täte es auch, aber man lebt schließlich nur einmal. Die Ideen für diese mit allen Fetten gewaschenen Rezepte stammen von einem der großen Meister seines Faches: Cihan Anadologlu. Der ehemalige Chef-Barkeeper im Schwabinger Schumann’s, Autor zahlreicher Bücher, Craft-Döner-Erfinder und Tausendsassa berät mit seinem „Atelier for Culinary Concepts“ eben auch die MIZU-Bar. Da kann man nur sagen: Kanpai! Ein Hoch auf den Tegernsee.


Der Alkohol regt den Appetit an. Es wird Zeit, sich in die Obhut von Kudo Chiori zu begeben. Der Japaner durchlief eine klassisch-strenge Ausbildung bei einem der großen Sushi-Meister seiner Heimat. Und das heißt: keine Kompromisse bei der Qualität, was bereits beim Einkauf anfängt: „Jakobsmuscheln beziehe ich aus Hokkaido, Thunfisch vom Kultzüchter Balfegó in Spanien“, erzählt der Küchen-Samurai. Wolfsbarsch akzeptiere er nur in Ikejime-Qualität. Ikejime ist eine Methode, um Fische zu paralysieren und zu töten, ohne Geschmack und Textur des Fleisches zu beeinträchtigen. Seine erstklassigen Produkte sind dem Küchenchef heilig. 24/7 trägt er einen Beeper bei sich, der Alarm schlägt, wenn die Temperatur im Fischkühlschrank um mehr als ein halbes Grad vom Soll abweicht. Das Schneiden der Fische nimmt er ebenfalls sehr ernst, denn auch davon hängt der Geschmack der Flossenträger ab. Chiori besitzt zwölf Messer, natürlich nur beste Qualität aus Tokio. Die Sashimi, Nigiri und Sushi, die er aus und mit diesen „Zutaten“ zaubert, sind ein Gedicht. Davor gibt’s Edamame mit Chili, Limette und Meersalz, als Hauptgang Black Cod (Kohlenfisch) vom Grill oder Oktopus. Und zum Dessert konnte das Eis mit schwarzem Sesam überzeugen.

Spa & Resort Bachmair Weissach

Gourmetrestaurant Dichter

im Parkhotel Egernerhöfe, Rottach-Egern


In Gehweite zum Bachmair kocht ein Mann, der aus dem nahen Weilheim stammt und den Tegernsee noch aus seiner Zeit kennt, als er Sous-Chef von Hans Haas im damals mit drei Sternen dekorierten Münchner Tantris war. Zum Entspannen kam Thomas Kellermann damals mit seinem Mountainbike an den See. Später verschlug es den sympathischen Oberbayern nach Sylt und Berlin, es folgten zehn Jahre in der Oberpfalz. Kellermann erkochte sich dort seine eigenen Sterne, ehe er 2018 wieder ins Tegernseer Tal zurückkehrte, diesmal beruflich als Küchendirektor im Parkhotel Egerner Höfe und dessen aktuell mit einem Michelin-Stern und 17 GM-Punkten ausgezeichneten Gourmetrestaurant Dichter.


Klaus Dieter Graf von Moltke hatte 2020 das Parkhotel an den Allgäuer Molkereiunternehmer Christian Ehrmann verkauft. Dieser ließ es zu einem feinen Fünf-Sterne-Superior-Haus umbauen und gewährte dabei Küchenchef Kellermann viel Mitsprache bei der Neugestaltung des „Dichter“. Das Ambiente ist geradlinig-modern, Hingucker sind zwei markante Glaskästen mit japanischen Stechpalmen, die den Raum geschickt aufteilen und Privatsphäre schaffen. Durch bodentiefe Fenster schaut man hinaus auf den Park und die uralten Kastanien und Eichen, während der aufmerksame Service um Marianne Wiedemann den Abend mit einem Glas Laurent Perrier Brut Reserve eröffnet und dazu als Gaumenkitzler Pinienkern-Schaum und -Eis auf Blaukrautsalat kredenzt.


Was verheißungsvoll beginnt, steigert sich Teller für Teller. Mit jedem weiteren Gang versteht man die Philosophie Kellermanns besser. Den Ausgangspunkt bilden oft saisonale Produkte rund um das Tegernseer Tal. Mal sind es Rote Bete, Kerbelwurzeln oder Kohlrabi, mal ist es ein Saibling aus dem See (natürlich vom Tegernseer Kult-Fischer Christoph von Preysing), mal eine Erdinger Garnele, die eben dort, nordöstlich von München, gezüchtet wird. Der Chef selbst spricht von „einfachen Viktualien: Die Region ist ganz oft der erste Schritt“. Doch dann geht er den nächsten. Und den übernächsten. Setzt dabei internationale Akzente, kreiert stimmige Arrangements von Aromen aus den unterschiedlichsten Ländern. Immer wieder kehrt er nach Frankreich zurück. Seine Brotsuppe mit Imperial-Taubenbrust und Sellerie schmeckt so intensiv und fantastisch, dass man die Schale mit dem restlichen Brot bis auf den letzten Tropfen austunken möchte. Die Taube würde er übrigens nie aus heimischen Gefilden beziehen. Die können nur die Franzosen so gut – und deshalb gibt es da beim Einkauf keine Kompromisse. Das gilt auch für die Perigord-Trüffel, die auf den Kalbsbäckchen mit Chicorée, geschmorten Zwiebeln und Moosbeeren ruhen.


Dabei wirkt keiner der Teller überladen. Kellermann reduziert auf das Wesentliche, lässt Aromen und Texturen für sich sprechen, alles ist exakt zubereitet. So geht eine unaufgeregte französisch-zeitgemäße Küche! Da sitzt es sich gern im Glashaus. Auch lässt man sich gern auf die Weinbegleitung zum fünf- bis zehngängigen Menü ein. Im Keller lagert nahezu alles, was in Deutschland Rang und Namen hat, dazu kommen Klassiker aus Frankreich und Italien.


Ach ja: Kellermanns Signature-Gericht war für eine Weile ein im Salzteig gegarter Gewürzfenchel, der am Tisch vor den Augen der Gäste aufgebrochen und tranchiert wird. Mal richtete er diesen „Phönix“ mit Orangen, wildem Spargel, Pfifferlingen und Joghurt an, dann wieder mit bayerischen Garnelen. Irgendwann merkte der Meister, dass einige Kollegen diese Kreation kopierten. Und deshalb hat der Fenchel gerade Pause. Aber wer weiß, vielleicht taucht er in einer neuen Variation wieder auf. Kellermann kommen die besten Ideen schließlich beim Mountainbiken. Überhaupt scheint er gerne bergauf zu fahren oder zu gehen. Sein Motto hat er sich von den australischen Wechselstrom/Gleichstrom-Rockern aka AC/DC geliehen: „It's a Long Way to the Top (If You Wanna Rock 'n' Roll)“. Dabei ist Kellermann doch längst oben angekommen. Weiter will er gar nicht.

Gourmetrestaurant Dichter

Haubentaucher

Rottach-Egern


„Dichter“-Chefkoch Kellermann hat noch einen Freund am See, quasi in Sichtweite: Alois Neuschmid. Die beiden lernten beim selben Meister, bei Hans Haas im Tantris in München. Außerdem hat der „Lois“, wie ihn alle Welt nennt, eine Tegernseer Vorgeschichte: 2012 erkochte er sich mit seinem Restaurant „Lois“ an der Südlichen Hauptstraße in Rottach-Egern einen Stern. Doch nur ein Jahr später machte er dicht, der Stern verglühte. „Das Lokal war mir zu klein und zu eng. Es ging dort nicht mehr“, begründete Neuschmid den Rückzug damals. Und fügte ganz bescheiden hinzu: „Und das mit dem Stern ist mir halt passiert.“ Danach betreute der Tiroler, Jahrgang 1972, verschiedene gastronomische Projekte, beriet Restaurants und Konditoreien, kochte auf Events, übernahm Catering-Aufträge und stand unter anderem im Tannerhof in Bayrischzell am Herd.


Mitte 2017 tauchte er am Tegernsee – im Wortsinn – wieder auf: mit dem Haubentaucher, untergebracht in einem ehemaligen Fischerhüttchen in Rottach-Egern. Es liegt, natürlich, direkt am Ufer. Näher kann man nicht am Wasser sitzen. Die Chance hatte sich ergeben, nachdem Monika und Peter Borkholder, die dort 21 Jahre lange das Borkholder’s Café betrieben, aus gesundheitlichen Gründen schließen mussten. Es lief von Beginn an gut, durch die Gastro-Szene am Tegernsee wehte wieder frischer Wind, doch der offizielle Ritterschlag ist noch taufrisch: Im März dieses Jahres erhielt der „Haubentaucher“ einen Stern von den Michelin-Testern und stieg damit in die Bundesliga für Feinschmecker auf. Lois nahm es mal wieder gelassen hin. „Es ist eine tolle Bestätigung, ändert aber nichts“, sagt er kurz und knapp – und ist schon wieder in der Küche verschwunden.


Das abendliche Überraschungs-Menü, das diese Küche verlässt, ist jeden Euro wert. „Haubentaucher“ Lois kocht modern und konzentriert, setzt ganz auf die exzellenten Produkte und sein handwerkliches Können. Trends und Moden interessieren ihn wenig. Warum nur regional kochen, wenn man seine Gäste mit einer wunderbar zarten Gelbschwanzmakrele (Hamachi) im Dashi-Fond nach Japan entführen kann? Oder auf eine Berghütte, wenn er seine käsegefüllten Tortelloni mit Radicchio und Birne mit Röstzwiebel-Fond übergießt? Den großzügigen Löffel Kaviar eines deutschen Züchters platziert er auf Roten Beten und einer Meerrettich-Creme. Sein aus dem Bauchlappen geschnittenes Stück vom Iberischen Schwein schmeckt zart wie Wagyu, das „Backerl“ des Tieres kommt als Zugabe auf den Tisch und harmoniert wunderbar mit den Sellerie-Röllchen, die wie weißer Spargel aussehen, nur viel intensiver schmecken. Zum Abschluss gibt es Süßes oder Käse – aber nicht aus der Naturkäserei um die Ecke, sondern aus Frankreich. Warum? Weil’s die Franzmänner halt besser können.


Bei den Weinen sollte man sich ganz auf das verlassen, was die Vroni entkorkt. Zum Iberico-Schwein schenkt sie zum Beispiel einen Chianti Classico ein, den der Patron in der Toskana höchstpersönlich einkaufte, als die Preise von den Amerikanern noch nicht vollends versaut waren, und den er seinen Gästen nicht vorenthalten möchte. Der Blaufränkisch aus der Großflasche vom Burgenländer Topwinzer Prieler wiederum ist die ideale Begleitung zum Käseteller.


Im Haubentaucher passt eben einfach alles: der ausgesprochen freundliche und schnelle Service, die schlicht-rustikale Gaststube mit der angenehm unprätentiösen Wohlfühl-Atmosphäre, der Verzicht auf jegliches Brimborium. „Weniger ist mehr“ lautet das Credo von Lois. Kaum zu glauben, dass sie abends in der Küche nur zu zweit am Herd stehen. Denn was diese Mini-Brigade zaubert, ist schlicht und ergreifend sensationell. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass der Überraschungs-Viergänger zum Schnäppchenpreis von 70 Euro kommt. So gewinnt man junge Leute für die gehobene Küche!

Haubentaucher

Clubhaus Bachmair
Weissach, Tegernsee


Tja, dem Herrn Kohler und seinem Hospitality-Imperium kommt man nicht aus. Er hat nicht nur dem Bachmair neues Leben eingehaucht, sondern rund um den See spannende Projekte realisiert, wofür ihn das Magazin „Falstaff“ zum „Hotelier des Jahres 2022“ kürte. In Bad Wiessee machte er aus dem verstaubten Kirchenwirt das hippe Hotel „Bussy Baby“, das eine jugendliche, urbane Zielgruppe (Küche: Asian Fusion) anspricht. Naturfreunde und Wanderer checken im kleinen, aber feinen Berghotel „Altes Wallberghaus“ ein und lassen sich den besten Kaiserschmarrn weit und breit schmecken. Korbinian Kohlers größtes Abenteuer steht jedoch erst noch bevor: Er will das legendäre Sanatorium Wildbad Kreuth zu einem „Mental Retreat“ umbauen. Es ist das mit Abstand dickste Brett, das es am Tegernsee zu bohren gibt. Kapitaleinsatz: ein dreistelliger Millionen-Betrag. 2023 soll es mit dem Umbau losgehen. Wer weiß: Vielleicht findet der nächste G7-Gipfel dann schon nicht mehr auf Schloss Elmau, sondern im Wildbad statt.


Kreuth, Rottach-Egern, Bad Wiessee – fast logisch, dass Kohler sich auch in der Stadt Tegernsee ein Filetstück gesichert hat: Das Café Kreutzkamm in Bestlage am See verwandelte er in das sehr geschmackvoll eingerichtete Clubhaus Bachmair Weissach samt Appartements und Penthouse-Wohnung. Die Küche präsentiert Spezialitäten von der Levante, also der Ostküste des Mittelmeeres, wobei der Fokus klar auf Israel und dem Libanon liegt. Beim Blick in die Speisekarte stimmt es versöhnlich, dass zumindest hier die in der Realität verfeindeten Ethnien und Religionen friedlich Seite an Seite leben. Außerdem gilt: „Sharing is Caring!“ Man teilt sich nicht nur die Mezze, die täglich frisch zubereitet werden (Das Hummus ist ein Gedicht!), sondern auch die Vorspeisen, von denen die Burrata mit gegrillten Trauben unser Favorit war. Oder war es doch der Sashimi-Style-Salat vom Roten Thun mit Persimone (Kaki) und Lauch-Crunch?


Natürlich kann man sich auch die Hauptspeisen teilen. Auf den Tisch kommen Klassiker wie Filet oder Rib Eye vom Rind, aber auch Fische aus Meer (Wolfsbarsch, Gelbschwanzmakrele) und Süßwasser (Seeforelle). Was die Gerichte so besonders macht, sind die Sides wie Spargel, Steckrüben oder Ur-Karotten, die mit nahöstlichen Gewürzen und Pasten wie Sumach, Baharat, Kumin und Zaatar so verfeinert werden, dass sie die ganze Aromen-Vielfalt der Levante auf den Tisch zaubern. Wer an einem lauen Sommerabend auf der Terrasse sitzt und auf den See und die untergehende Sonne blickt, möchte gar nicht mehr bis nach Tel Aviv fliegen. Selten haben wir eine so authentische Küche genossen!


Und was trinkt man dazu? Auch im Clubhaus hat Cihan Anadologlu seine Finger im Spiel und verleiht Klassikern einen orientalischen Twist. Schon mal einen Jerusalem Mojito probiert? Oder einen Spicy Levante? Ein Muss ist an einem heißen Sommertag ein Watermelon Highball zum Aperitif. Ja, nicht nur im Nahen Osten, auch in Oberbayern liebt man die rote, saftige Frucht! Ach ja, wer noch Platz für ein Dessert hat: Die pochierte Feige mit Tonkabohneneis, Honigcrunch und Minze ist ein Gedicht!

Clubhaus Tegernsee

Ostiner Stubn
Gmund am Tegernsee


Ostin – das klingt irgendwie nach Mecklenburg-Vorpommern. Tatsächlich ist das aber ein Ortsteil der Gemeinde Gmund, etwas höher gelegen und rund zwei Kilometer vom Ufer des Tegernsees entfernt. Eines der ältesten Gebäude des Dorfes ist das Reich von Frank Mollenhauer. Der gebürtige Aachener wuchs im elterlichen Betrieb mit der Gastronomie auf und arbeitete später in mehreren renommierten Restaurants und Hotels. Bereits 1992 verschlug es ihn erstmals an den Tegernsee ins Parkhotel Egener Höfe, wo heute Kellermanns „Dichter“ residiert. Später war er Gastronomischer Leiter des Grand Hotel Quellenhof in Aachen, ehe es ihn 2005 an den Tegernsee zurückzog, dieses Mal ins Seehotel Überfahrt, nach einer Zwischenstation im Münchner Restaurant Lenbach dann ins Hotel Bachmair Weissach des Herrn Kohler.


Immer hatte Mollenhauer Führungspositionen inne, doch sein Traum war es, ein eigenes Restaurant zu führen, wo er so kochen kann, wie er lustig ist. 2013 schlug er zu, als das historische Gebäude in Ostin zu pachten war. Er renovierte umfangreich auf eigene Kosten, ging ins Risiko. Dabei unterstützte ihn seine Lebensgefährtin Stefanie Heckelsmüller, eine echte Gmunderin, die heute mit viel Umsicht und Charme den Service führt und die Weine einkauft.


Weil Ostin nicht direkt am See liegt und somit nicht auf dem Radar der Münchner Schickeria ist, fährt das Power-Duo zweigleisig: Im Jäger- & Hirschstüberl wird regionale bayerische Landhausküche serviert, das Fine-Dining-Restaurant konzentriert sich auf moderne europäische Küche mit starken französischen Einflüssen, gepaart mit Fusion aus mehreren Ländern Asiens, vornehmlich Thailand und Japan. „Ich bin ein Cross-Over-Typ“, sagt der Chef von sich selbst. „Ich brauche beide Weltregionen, um mich kulinarisch austoben zu können.“ Natürlich setzt auch er auf saisonale Produkte und solche von Erzeugern im Tal, passt die Karte entsprechend den Jahreszeiten an. Aber er will sich dadurch nicht zu sehr einschränken lassen.


Und so kommen in seine wunderbar sämige Bouillabaisse sowohl Süßwasser- als auch Meeresfische. Der Saibling aus der Zucht am Tegernsee schwimmt einträchtig neben Riesengarnele und Seezunge. Meine Begleitung vergnügt sich derweil mit einer Vorspeise, die der Chef schlicht „Asian Style“ nennt: Dahinter verbergen sich mit Garnelen gefüllte Dim Sum, knusprig gebratene Garnelen-Wan-Tans, eingelegter Ingwer, Algensalat, Daikon-Rettich, asiatische Senf-Mayonnaise und Ponzo-Sauce. Letztere bereitet die Küche in Handarbeit zu – und genau diesen Unterschied schmeckt man eben, selbst wenn es viel Arbeit macht und die Sauce auch gekühlt nur wenige Tage hält.


Natürlich sind auch die mit Blutwurst gefüllten Ravioli selbstgemacht. Nur steht Mollenhauer dafür keine XL-Brigade zur Verfügung. Die Teigtaschen werden deshalb schockgefrostet und so äußerst schonend konserviert, bis sie auf der Karte ihren großen Auftritt haben. Mit Birne, Radicchio, Balsamico-Jus und Parmesanspänen ergibt das eine feine, elegante Kombination. Die Chefin des Hauses serviert dazu, ganz klassisch, einen Sancerre von Joseph Mellot, der es mit den kräftigen Aromen der Pasta aufnehmen kann und mit einem langanhaltenden und fruchtigen Finale überzeugt.


Alles, was die Karte bietet, schmeckt vorzüglich: die Französische Maispoularden-Brust mit Ratatouille, Gnocchi und Estragon-Senfsauce genauso wir ein klassisches Wiener Schnitzel oder ein Zürcher Geschnetzeltes. „Ich wollte frei von allen Zwängen sein, außerdem weg vom Trubel am See“, sagt der Rheinländer. Das Konzept scheint aufzugehen. Er ist stolz auf die Erwähnung im Guide Michelin und den „Bib Gourmand“ für ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. 70 Prozent seiner Gäste halten ihm seit vielen Jahren die Treue, vertrauen voll und ganz seinen häufig wechselnden Menü-Vorschlägen. Zum Schluss kredenzt Mollenhauer eine Grand-Marnier-Eistarte mit Beeren auf Karamellsauce, seine bessere Hälfte spendiert dazu einen Sauternes-Süßwein. Was soll man sagen: Zumindest in Ostin sind aller Herren Länder friedlich vereint. Gut kochen kann so einfach sein!

Text: Günter Kast

Ostiner Stubn

Anmerkung der Redaktion: Das Althoff Seehotel Überfahrt in Rottach-Egern mit seinen fünf Restaurants – darunter dem Drei-Sterne-Restaurant von Christian Jürgens und dem „Il Barcaiolo“ (16 GM-Punkte, italienische Küche) – hatte auf Anfrage kein Interesse, Teil dieser Reportage zu sein.

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