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Wildes Lenggries

Es plätschert und gluckst verspielt zwischen unseren Füßen hindurch, das kristallklare Wasser der Isar. Die Erfrischung tut gut, regt Körper und Geist gleichermaßen an. Und auch wenn wir unser Auto nur wenige Gehminuten von diesem wundervollen Ort entfernt parken konnten, so befinden wir uns in einem intakten, schützenswerten und wunderschönen Ökosystem.

Am bayerischen Yukon

Die Nadelwälder im Hintergrund, die sanften Alpen, Brauneck, Geierstein und Seekarkreuz, erinnern direkt an Nordamerika. Am Isarufer selbst dann die Pioniergehölze. Birken, knorrige Eichen und Weiden, welche zwischen mächtigen Findlingen wachsen und dort schon einer halben Ewigkeit Wind, Wetter und Hochwasser trotzen. Zusammen wirkt das nicht nur wie eine Szenerie aus Alaska, es fühlt sich auch noch so an – hier bei Lenggries, nur 50 Kilometer südlich der Münchner Innenstadt.


Im 14. Jahrhundert sahen die Menschen hierin allerdings keine unberührte Natur. Vielmehr war die Isar für sie der schnellste Transportweg für allerlei Waren in Richtung München. Auf den mächtigen Floßen konnten riesige Mengen an Kalk, Kohle und natürlich Holz verfrachtet werden. In Lenggries entwickelte sich daher die Flößerei schon bald zum bedeutendsten Gewerbezweig. Heute ist dies natürlich Geschichte – allerdings eine, an die man sich gerne zurückerinnert. Der Holzhacker- und Flößerverein Lenggries pflegt das Kulturgut der tollkühnen Kapitäne. Nur ein Grund, warum sich Lenggries nun offiziell Flößerdorf nennen darf. 


Und ein bisschen darf man dann doch noch in längst vergangenen Zeiten schwelgen. Zumindest in den Sommermonaten, wenn im nahegelegenen Wolfratshausen noch immer riesige Floße ablegen und dieses Erlebnis für Gäste erlebbar machen. Wer die bayerische Wildnis dagegen lieber auf dem Landweg erkundet, der bekommt dazu zwischen September und Oktober besondere Möglichkeiten: während des Wanderherbstes 2022. Lokale Wanderguides führen zwei Wochen lang ihre Gäste zu den schönsten Ausblicken, urigsten Hütten und zu den leckersten Schmankerln.

Tradition mit neuem Bewusstsein

Jetzt im Sommer ist Lederhosenzeit! Das liegt natürlich an den vielen Festen und Veranstaltungen, die in den Sommermonaten abgehalten werden. „Es liegt aber auch an einem ganz neuen Bewusstsein für die traditionelle Bekleidung“, da ist sich Susanne sicher. Heute trägt man eine Lederhose nicht unbedingt nur zu einem feierlichen Anlass, sondern gern auch mal bei der Arbeit, im Alltag, oder sogar beim Wandern, Biken oder Bergsteigen. So eine Lederhose macht eben einfach alles mit – und ist noch dazu temperaturregulierend. 


Ein klein wenig muss man sich aber dann doch vom romantischen Alpen-Klischee verabschieden, denn viele der Häute, die auf der Werkbank vor uns bearbeitet werden, kommen nicht unbedingt aus den Wäldern links und rechts der Isar. Neuseeländisches Hirschleder ist nach wie vor am gefragtesten. Ganz einfach, weil man am anderen Ende der Welt einen großen Vorteil hat: Dort gibt es keine der sogenannten Dasselfliegen. Diese Insekten sind für die europäischen Hirsche zwar nicht weiter schlimm, doch vernarbt durch sie das Leder – wodurch später also eine Lederhose mit „Schönheitsflecken“ entstehen würde.


Mittlerweile aber hat sich auch diese Denkweise geändert. Glücklicherweise! Heute trägt man durchaus auch völlig bewusst eine Lederhose mit diesen punktförmigen Narben im Leder - quasi als Statement für ein möglichst regionales Produkt. Ob es hier im Laden aber auch Lederhosen direkt aus dem Lenggrieser Wald zu kaufen gibt, möchten wir da von Susanne wissen. Die aber schüttelt den Kopf, denn immerhin brauche sie ja für eine Lederhose mindestens zwei Hirsche. Und wenn wir nun einen Blick in die Verkaufsräume unter uns werfen, so können wir uns schnell selbst ausmalen, dass die Jäger um Lenggries gar nicht so viele Tiere schießen, wie Susanne dafür benötigen würde. 

Wo Wild getragen wird

Im beschaulichen Örtchen Lenggries treffen wir Susanne Schöffmann. Sie ist Inhaberin der Säcklerei Bammer, einem Familienbetrieb, der bereits vor mehr als 50 Jahren von ihrem Vater Josef Bammer gegründet wurde. Bereits am frühen Vormittag sind die Verkaufsräume, in denen ein angenehmer Lederduft liegt, gut gefüllt. Jung und Alt sind hier auf der Suche nach der perfekten Lederhose. Susanne eilt mit einem über die Schultern gehangenem Maßband von Kunde zu Kunde, genau wie Junggesellin Caro. Sie hat erst dieses Jahr ihre Ausbildung mit dem Notendurchschnitt 1,0 abgeschlossen und ist nun mit genauso viel Elan bei der Sache wie die Chefin. Von oben sind derweil laute Schläge zu hören. Dort ist Susannes mittlerweile achter Auszubildender damit beschäftigt, Knopflöcher in aufwändig bestickte Hosenträger zu schlagen. Hinter den bunten Stickarbeiten stecken viele Stunden Arbeit, erklärt uns Tobias, der nun schon im dritten Lehrjahr ist und sich sicher ist, seinen Traumberuf gefunden zu haben. „Die Hosenträger sticken wir aber nicht selbst“, murmelt der Azubi konzentriert und fügt hinzu, dass man sich diese eigentlich „erschmusen“ muss. Für die farbenfrohen Kunstwerke ist also des Lederhosenträgers Frau oder Freundin zuständig. Und dann greift Tobias wieder nach dem Holzhammer, der uns schon beim Betreten des Werkraumes aufgefallen ist. Der kantige Holzklotz hat auf allen vier Seiten zentimetertiefe Abnutzungsspuren und muss schon tausende von Löchern geschlagen haben. 


Echtes Handwerk

Sogar ihr Vater hatte dieses Werkzeug schon benutzt, wirft uns da Susanne entgegen, die in einer freien Minute zu uns heraufgekommen ist. Viel habe sich seit der Zeit ihres Vaters ohnehin nicht getan. Eine neue Nähmaschine vielleicht, doch der Rest wird genau so gemacht, wie noch vor 50 Jahren. Eine Schere. Nadel und Faden. Ein Stück Kreide, mit dessen Pulver die späteren Muster, die sogenannten Blumen, aufs Leder gebracht werden. Eine Feder, zum Nachfahren der Linien. Und natürlich bunte Maulbeerseide, denn ganz traditionell werden nur diese Fäden zum Verzieren der Lederhosen genutzt. 


Sehr viel mehr gibt es eigentlich nicht zu sehen – bis auf das Leder natürlich. Erst aber als uns Susanne genau erklärt, wie in ihrer kleinen Säcklerei echte bayerische Lederhosen entstehen, merken wir, dass es ein hohes Maß an Erfahrung und Geschick braucht, um ein Naturprodukt derart hochwertig zu verarbeiten. Da werden beispielsweiße ins Innere der Hose zunächst unnütz wirkende Lederstücke genäht, weil die Säcklermeisterin schon im Voraus erkennt, dass sich die Hose sonst unschön verziehen würde. Da wird mit Nadel und Faden so sorgsam gearbeitet, dass die Maulbeerseide auf der Außenseite schön anzusehen, innen aber unsichtbar ist, weil mit der Nadel das Leder nicht ganz, sondern eben nur zur Hälfte durchstochen wird. Und schlussendlich weiß Susanne auch einfach, wie sie die 58 Einzelteile einer Lederhose vernähen muss, damit das Kleidungsstück nachher auch perfekt sitzt. Denn darauf kommt es schließlich an.

Von der Werkbank auf den Teller

Wir verabschieden uns von Susanne und ihren Kollegen, denn schon bald klingelt wieder ihr Telefon – die nächste Anfrage flattert ins Haus. Wer bei ihr eine Lederhose bestellt, kann mit einer mehrmonatigen Wartezeit und Kosten um die 1000 Euro rechnen. Dafür bekommt Mann dann aber auch ein echt bayerisches Meisterwerk, das eine ganz eigene Handschrift trägt. Denn natürlich können die verschlungenen bunten Muster ganz nach dem eigenen Geschmack gestaltet werden lassen. Ein klein wenig springt da Susanne auch mal über die Tradition – sogar einen Bagger hat sie einst auf eine Hose gestickt. Dabei versteckt sich die Handschrift der einzelnen Säcklereien eigentlich in viel kleineren Details. Allein anhand der Nähte kann Schöffmann jede Lederhose ihrem genauen Ursprungsort zuordnen. Beeindruckend!


Aber dennoch, auch wenn die Hirschhäute nur selten aus Bayern kommen, so gibt es sie: Die Möglichkeit in den Genuss einer wirklich regionalen Wild-Spezialität zu kommen. Am südlichen Ortsrand, mal wieder nur einen Steinwurf von der wilden Isar entfernt, finden wir am Abend den Gasthof Pfaffensteffl. „Seit 1593 herzlich boarisch“, klingt uns hier der Slogan entgegen und so lassen wir uns nur zu gern von dem schönen Gebäude und dem angrenzenden Biergarten einladen. Natürlich wird auch im Pfaffenseffl die Tradition aufrechterhalten, immerhin kehrten hier schon vor rund 300 Jahren die Mönche der Klöster Tegernsee und Benediktbeuern ein.


Mönche sind heute allerdings keine mehr im Pfaffensteffl zu finden. Dafür aber urig bayerisches Ambiente. Und genau hier, unter schattenspendenden Kastanien und bewaldeten Berggipfeln, da kann man dann auch wirklich einen Hirsch aus den umliegenden Wäldern genießen. Hirschlendchen, Junghirsch-Gulasch, Hirschrahmbraten. Wir entscheiden uns für den deftigen „Wuiderer-Teller“ – ein Augen- und Gaumenschmaus. Hier stammt das Fleisch tatsächlich noch aus nächster Nähe. Küchenchef, gelernter Koch und Metzger Sepp Wenig weiß außerdem, wie man es unverwechselbar gut zubereitet. Eben echt wild!

Autor: Benni Sauer

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