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Weniger ist mehr!

Aus dem Holz der Zirbelkiefer schnitzten die Menschen im Val Gardena seit hunderten von Jahren Figuren aller Art.

Ein übergroßer Luis Trenker steht am Straßenrand, als wir dem Grödner Bach folgend durch St. Ulrich fahren. Wenig später passieren wir einen gigantischen menschlichen Kopf, der aus über 50 Einzelteilen zusammengefügt wurde. Links und rechts der Straße reiht sich fast schon eine Holzschnitzerei an die andere und wirklich an jeder Ecke sind interessante Kunstwerke zu entdecken. Hier im Grödental, also direkt nördlich der berühmten Kulisse von Lang- und Plattkofel, lebt die uralte Tradition der Holzschnitzerei. Man ist spürbar stolz darauf – denn immerhin wurde das Tal dadurch weltberühmt!


Wenig später halte auch ich einen Stechbeitel in der Hand. Zwar weit weniger geschickt als noch Florian Rabanser vor mir, aber das Grundprinzip habe ich schon mal verstanden: Die spätere Form ist eigentlich schon längst im Holz. Ich muss sie nur freilegen! Für den ersten Versuch soll es ein Relief einer Forelle sein. Eine freistehende Statue wäre in dem halbtägigen Schnitzkurs ohnehin nicht fertigzustellen. Außerdem tun sich Anfänger leichter, wenn das Holzstück eine ständig ebene Grundfläche aufweist und das Werkstück flach auf dem Tisch liegt.

So einfach das Grundprinzip auch scheinen mag, es birgt eine große Gefahr. Schnell merke ich, dass Schnitzen eine Einbahnstraße ist. Es gibt nur eine Richtung: Das Holz muss weg! Einmal abgestemmte Holzspäne sind für immer verloren. Abgesplitterte Ecken, ausgefranste Fasern, hier und da ein Schlag zu viel. Fehler können nur mit einem guten Auge und einer gesunden Portion Kreativität korrigiert werden – wenn überhaupt! Immer wieder rutscht mir deswegen fast das Herz in die Hose. Florian aber beruhigt mich, schlägt mit Beitel und Holzhammer kraftvoll auf meine Forelle ein, so dass die Späne meterweit davonfliegen. Wieder einmal kann ich nur staunen. Mit nur drei Schlägen gelang dem Künstler etwas, wofür man ganz offensichtlich ein genau geschultes Auge braucht.


Dass die Schnitzerei im abgelegenen Val Gardena eine so lange Tradition hat, ist kein Zufall. Im Winter gab es hier schlicht nichts anderes zu tun. Die Tage waren kurz, die Nächte kalt und so machte man sich schon früh Gedanken, wie man sich in dieser entbehrungsreichen Zeit etwas dazuverdienen könnte. Ein glückliches Zusammenspiel entstand durch die hier recht häufig wachsende Zirbelkiefer. Ihr Holz ist weich, duftet ganz vorzüglich und ist geradezu ideal für Schnitzereien aller Art. Um 1600 wurde dann das erste Mal ein Zirbenholz in künstlerische Form gebracht. Die Tradition war geboren. Einige Jahrzehnte später gab es schon berühmte Künstler mit besonderem Talent. Sie trieben die damals noch junge Tradition weiter und weiter an, bis im 18. Jahrhundert die Holzschnitzerei Haupteinnahmequelle des Tals war. 1976 eröffnete der Handwerksmeister Otto Ferdinando Rabanser eine kleine Werkstatt in St. Ulrich. Sein Sohn steht heute vor mir und bringt mir das Handwerk näher. Der Künstler ist dabei kein Mann vieler Worte. Das meiste aber lernt man von einem Meister ohnehin beim Zuschauen.

Meine Forelle nimmt leider nur langsam Form an. Mein größtes Problem liegt eindeutig an einer mangelnden Vorstellungskraft: Was passiert, wenn dieses Stück Holz fehlt? Wenn ich dort noch etwas wegnehme? Hier noch einen Millimeter und vielleicht noch dort? Wortlos nimmt mir da Florian das Werkzeug aus der Hand. Er hat mein Problem gleich erkannt und löst es einmal mehr mit zwei kräftigen Hieben. Weniger ist mehr. Noch weniger wäre dafür aber auch wieder nichts. Genau das Zwischending zu finden ist wohl die wahre Kunst.


Mir gefällt dieses Handwerk auf Anhieb. Es bereitet Freude zu sehen, wie aus einem kantigen Holzklotz langsam eine Form entsteht. Trotzdem spüre ich aber schnell, dass der Job keiner ist, wie jeder andere. Rücken und Oberarme kennen die Bewegungen der vergangenen Stunden nicht und beginnen schon bald zu schmerzen. Das vergehe mit der Zeit, beruhigt mich Florian, der hinzufügt, dass das lediglich ein Anfängerfehler sei.


Der talentierte Schnitzer hat gut reden: Fünf Jahre dauert die Ausbildung in der Landesberufsschule für das Kunsthandwerk in St. Ulrich. Eine lange Zeit – für einen Beruf, in dem man seinen Unterhalt hart erarbeiten muss. Aber auch wenn Florian es weit gebracht hat, seine Statuen schon in der ganzen Welt verbreitet sind, teilweise sogar von Papst Benedikt XVI. persönlich geweiht wurden: Um reich zu werden hat im Val Gardena noch nie jemand auf ein Stück Zirbenholz geschlagen!

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